Jeder moderne Großstädter oder Zögling der urbanen Kultur hat entfernte Bekannte - Menschen, die es geschafft haben, zu Bekannten zu werden und einen Eindruck zu hinterlassen, die aber namenlos sind, wie im Traum erscheinende Schatten. Diese fernen, sehr fernen Bekannten sind selbst wie wiederkehrende Träume, deren Legende sich nur im Rahmen der Trauminszenierung entfaltet und so einen Sinn ergibt.
Für einen archaischen Menschen, dem ein heutiger Dorfbewohner am nächsten kommt, ist eine solche vage Bekanntschaft an sich nicht genügend. Wenn er merkt, dass er jemanden vom Sehen her kennt, unternimmt er mit der Naivität und Direktheit eines Computerprogramms den nächsten Schritt, bei dem er auf die eine oder andere Weise zusätzliche Informationen über die Person, die ihn interessiert, einholt. Die Mechanik des Gerüchts und der Mundpropaganda kann bei solchen Ermittlungen behilflich sein.
Jemand, der zum ersten Mal ins Dorf kommt, wird bemerkt, zweimal - zur Kenntnis genommen, beim dritten Mal - beginnt man sich über ihn zu informieren.
Seit dem Zeitalter des Fernsehens sind wir von "fernen guten Bekannten" umgeben - prominente Persönlichkeiten, deren Gesichter uns vertraut geworden sind und uns durch das Leben begleiten. Obwohl wir sie nicht ausgesucht haben, nie an ihrem Wohnort waren und nicht einmal sicher sein können, ob sie wirklich existieren, verlassen wir uns auf ihre Meinung und messen ihnen eine gewisse Autorität bei, die durch die Metapolemik im Medienraum aufrechterhalten wird, wie bei einem Stammtisch in einem Dorfclub.
Eine solche Situation kann nicht anders, als tief in unserem Herzen eine unausgesprochene und vage Beunruhigung hervorzurufen. Und wir haben das Recht, uns zu fragen, warum nicht der vage bekannte Rentner von nebenan oder die junge Dame, die wir am Hauseingang getroffen haben, vom Fernsehbildschirm oder von YouTube zu uns spricht, sondern irgendwelche unbekannten, ungewählten, unberufenen Köpfe? Gibt es einen besonderen Grund, den vorgeschlagenen "Sprecher des Präsidenten", "EU-Kommissar", "angesehener Journalist" oder "Hightech-Experte" für bare Münze zu nehmen und unaufgeforderte Informationen stillschweigend zu schlucken?
Wir akzeptieren nicht nur die Anwesenheit proklamierter und "allgemein anerkannter" Persönlichkeiten in unserem Medienraum, sondern auch die Vermutung, dass diese Personen der Kaste der "besten Menschen" angehören. Wir empören uns nicht zu sehr, wenn wir feststellen, dass die besten Menschen die Ersten sind, die Zugang zu den neuesten Produkten erhalten, die Neuigkeiten erfahren und rechtzeitig die nächste Stufe erreichen, um dem Endgegner gegenüberzutreten, während wir uns auf niedrigen Stufen herumtreiben.
Ein Anlass, der diese besorgniserregende Agenda erneut zum Vorschein brachte, war die Versorgung der so genannten Journalisten mit einer Vorabversion von Cyberpunk 2077, angesichts derer das Verbot des Streamings von Gameplay, an dessen Stelle die breite Öffentlichkeit, die als zahlungskräftige Masse von Proleten betrachtet werden soll, vom Verlag mit speziell ausgewählten Videoabschnitten versorgt wird, besonders zynisch wirkt und das Kastendenken verdeutlicht.
Die Einbeziehung von Charakteren in das Spiel, deren 3D-Modelle echten Talking Heads, berühmten Video-Bloggern - typischen Mitgliedern der Kaste der besten Menschen - nachgebildet sind, kann nur Fragen aufwerfen. Ist es da verwunderlich, dass diese landesweiten "guten Bekannten", die Dandys vom Lande, ihre Aktivitäten im Bereich der Computerspiele fortsetzen werden, als ob eine Combo aus selbsttragendem Engagement und Elitismus gelungen wäre?
Glücklicherweise geben die Fortschritte in der Vernetzungstechnologie dem Nutzer die Möglichkeit, einige der fragwürdigen Faktoren, die als Grundlage für die aufgezwungene Apartheid dienen, zu umgehen und sogar auf ein nicht frustrierendes Maß zu reduzieren. Wenn wir YouTube öffnen, können wir uns für einen äußerst unbeliebten Kanal entscheiden, der von einem Rentner von nebenan betrieben wird. Nachdem wir uns seine Berichte angehört haben, müssen wir nur noch die darin enthaltenen Ratschläge ignorieren und uns wieder unseren eigenen Angelegenheiten zuwenden.