
Die Gaming-Landschaft ist voll von blinkenden Lichtern, epischen Schlachten und dem Versprechen endloser Möglichkeiten. Doch inmitten dieser visuellen Bombardierung verlieren wir oft etwas Wesentliches: Die subtile Kunst der Immersion, die Tiefgründigkeit der Erzählung, die stille Freude am Nachdenken. Und die Qualität eines jeden Computerspiels, insbesondere eines Rollenspiels, lässt sich bereits in der ersten Minute des Spielstarts erkennen. Nicht anhand der Grafik, nicht anhand des Soundtracks, sondern daran, was dem Spieler sofort präsentiert wird.
Denkt mal an Planescape: Torment, einen ehrwürdigen Klassiker der digitalen Kunst. Wer diesen Titel gestartet hat, wurde nicht mit einer wogenden Masse an Quests oder einem Tutorial überschüttet, das einem die Grundlagen erklärt. Nein, man landete mitten in einem philosophischen Dialog, gezwungen, über Erinnerung, Existenz und die Konsequenzen des Handelns nachzudenken. Die ersten Minuten waren eine intellektuelle Herausforderung, eine Einladung, sich auf eine tiefgründige Reise zu begeben. Es konnte Stunden dauern, bis überhaupt ein Kampf ins Spiel kam. Und das war kein Fehler im Design, sondern ein Beweis für die Prioritäten der Macher: Die Geschichte kam zuerst, die Action war sekundär.
Ähnlich verhielt es sich mit Anachronox. Auch hier wurden wir nicht sofort in ein Trainingslager gezwängt. Stattdessen wurden wir mit einer komplexen Welt und skurrilen Charakteren konfrontiert, die uns zum Grübeln einluden. Die Einführung in das Kampfsystem war dezent und geschah im Kontext der Handlung, anstatt als isoliertes, abgesetztes Element.
Selbst Summoner, oft unterschätzt und ein wahres Juwel, wusste das Prinzip zu verstehen. Hier wurde man zwar umgehend in die Kämpfe involviert, diese fühlten sich jedoch, erstens, nicht aus dem Kontext herausgerissen, bzw. gekünstelt an, zweitens, nicht so anstrengend, dass man sich gleich wie in einem Ballerspiel gelandet fühlte.
Betrachtet man hingegen Titel wie Clair Obscur: Expedition 33, wird das Problem noch deutlicher. Ein Spiel mit überheblich ambitioniertem Setting, aber einer Einführung, die sich wie ein Tutorial für Action-Abenteuerer anfühlt. Das Kampfsystem ist übrigens ähnlich wie in Anachronox aufgebaut, wird jedoch als eine Hommage an Geschicklichkeitsspiele präsentiert, wo man gleichsam wie ein Pawlowscher Hund trainiert wird, um fortdauernd Tasten zu drücken.
Angesichts der Tatsache, dass man sich von der ersten Sekunde an über die Optik des Spiels wundert und nicht imstande ist, zu unterscheiden, ob ein Element ein Grafikfehler ist oder eher "so gewollt", lässt auch das betont sinnfreie Gerede der Charaktere unangenehme Fragen aufkommen, so dass man als eine vernunftbegabte Person kaum fünf Minuten des Vergnügens aushält, ohne das Spiel endgültig deinstallieren zu müssen.
Es ist darüber hinaus erstaunlich, dass, obwohl Clair Obscur: Expedition 33 keinen Hauch von Anime-Ästhetik aufweist, lösen die Charaktere sowie die Kulisse sofort ein unerträgliches Gefühl des Ekels aus - ein gutes Beispiel für den sogenannten Uncanny-Valley-Effekt, hervorgerufen durch das gegeninitiatische Simulacrum ohnegleichen.
Man muss sich also fragen: Brauchen wir wirklich noch mehr Spiele, in denen man von Anfang an auf "Action-Modus" geschaltet wird? Oder sollten wir nicht lieber die Rückkehr der intelligenten, nachdenklichen Rollenspiele willkommen heißen - jener, die den Spieler in der ersten Minute nicht in eine degenerative Handlung stürzen, sondern in eine plausibel präsentierte Welt voller Geheimnisse und ungelöster Fragen? Auf jeden Fall ist Clair Obscur: Expedition 33 ein Zeichen dafür, dass Rollenspielentwickler den Fokus von der intellektuellen Immersion hin zu schnellem Adrenalin und leicht verdaulichen Unterhaltung verschoben haben.