Sonntag, 26. April 2020

Unwissenheit ist neuer Realismus

Unwissenheit ist neuer Realismus

Der Wunsch nach Realismus, also nach einem möglichst realitätsnahen Spieleablauf, ist zwar kein systembildender Faktor in der modernen Spieleindustrie, lässt sich aber dennoch in bestimmten Nischen beobachten, nämlich in den Genres der Killerspiele und der diversen Simulationen.

Je nachdem, wie ernsthaft der Entwickler den Appetit seiner eigenen Vorstellungskraft (die die eigentliche Quelle der Vorstellungen über das reale Leben ist) einschränkt und wissenschaftliche sowie technische, einschließlich historischer Dokumente studiert, kann das daraus resultierende Spiel in bestimmten Aspekten konventionelle Weisheiten widerspiegeln und so eine mehr oder weniger kohärente Illusion von Realismus erzeugen.

Das Problem des Realismus besteht jedoch darin, dass die Bühne, auf der sich die menschliche Existenz abspielt, weder ein grundlegendes wissenschaftliches Lehrbuch noch eine Bibliothek mit Spezifikationen zu allen Dingen ist, die im täglichen Leben verwendet werden können. Das Leben des Menschen spielt sich vor allem in der Welt seiner Fantasie ab. Man kann nicht, wenn man ein bestimmtes Schema konstruiert, die Psychologie völlig außer Acht lassen und dennoch annehmen, dass das Schema einen Bezug zur Realität hat.

Magisches Denken, Aberglauben, Religiosität, Manipulationen, Irrtümer und Träume sind integrale Bestandteile sowohl der globalen zivilisatorischen Prozesse als auch jedes einzelnen menschlichen Lebens. Wenn man ein Spieluniversum schafft, in dem die Kampfeigenschaften eines Schwertes nur durch seine technischen Spezifikationen bestimmt werden und die heiligen Symbole auf der Klinge nicht als wirksame Technik existieren, schafft man keine realistische Simulation, sondern ein realitätsfremdes Simulacrum.

Es sollte klar sein, dass im wirklichen Leben ein eingraviertes Schwert, das Bild eines geliebten Menschen im Cockpit eines Jagdflugzeugs und eine vertraute Marschmelodie tatsächlich einen Bonus auf Verteidigung und Schaden geben. Kampfeinheiten in dieser realen Welt sind weit von den Einheiten aus einem Spiel entfernt. Andernfalls würden wir übrigens Phänomene wie "Schlachtruf", "Kampfauszeichnung" und "Kampfmoral" nicht kennen.

Was für die Moderne gilt, in der die Wirksamkeit der Allzweck-Magie eine unbestreitbare Tatsache ist, sollte umso deutlicher werden, wenn es um historische Rekonstruktionen geht, insbesondere um solche, die den Anspruch erheben, realistische Rekonstruktionen bestimmter Aspekte des mittelalterlichen Lebens zu sein.

Diese Überlegungen kommen mit der kürzlichen Frühzugang-Veröffentlichung eines prätentiösen Projekts namens Mount and Blade: Bannerlord auf den Punkt.

Mount and Blade: Bannerlord - Eine Frau

Das Spiel, das die düsteren Fantasien eines Programmierers wiedergibt, stellt ein Simulacrum einer "mittelalterlichen Realität" dar, in der das Leben nach Ansicht des Entwicklers von zwei Hauptfaktoren bestimmt wird, dem Zufallsfaktor und einer Liste von Gegenstandsvorgaben, auf deren Kombinationen der Zivilisationsprozess beruht und die Geopolitik funktioniert.

Die Tatsache, dass die Macher von Mount and Blade: Bannerlord die grundlegenden Komponenten von Zivilisation und Kultur ignorieren und Phänomene wie den Casus Belli für etwas halten, das mit der Realität nichts zu tun hat, bei der es ihrer Meinung nach ausreicht, einen beliebig schwachen Feind zu wählen, um einen Krieg zu beginnen, wobei man völlig willkürliche Aggressionsakte begehen muss, um ihn zu führen, ist nur die Spitze des Eisbergs aus Pappe.

Mount and Blade II: Bannerlord - Die Pferde

Das ist es, was den Fans des billigen Realismus verborgen blieb, als sie durch Werbung (die es im neuen Realismus eigentlich nicht gibt, da sie die objektiven Eigenschaften der Materie umgeht) dazu gebracht wurden, das Spiel zu kaufen: Das entmannte Simulacrum enthält nichts als die völlig realitätsfernen Hirngespinste eines in Konventionen und Stereotypen verstrickten Geistes, der in einem Schrank eingesperrt aufgewachsen ist, in dem ein Mediaplayer mit den Ausschnitten aus einem populären Lehrbuch über Pferde und scharfe Waffen in voller Lautstärke lief.

Mount and Blade II: Bannerlord - Eine Ritterin

Mount and Blade: Bannerlord ist wie sein Vorgänger Mount and Blade: Warband ein Paradebeispiel für aggressive Unwissenheit, die in der Lage ist, selbst jene einfachsten Dinge zu entweihen, die eigentlich nicht falsch interpretiert werden können.

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