Sonntag, 12. September 2021

Magie in Rollenspielen und das Problem der Abstraktionsebenen

Magie in Rollenspielen

Was ein intelligenter Dämonenanbeter zu Recht von einem Computer-Rollenspiel erwarten darf, ist eine maßvolle Begrenzung der Spiel- und Szenariokonventionen innerhalb einer gewissen Abstraktionsebene, die es erlaubt, den Umstand gekonnt zu ignorieren, dass die Spiel-Engine nicht der realen Welt entspricht, die Dialogskripte keine Mechanik sind, die reale Entitäten steuert, und die Spezialeffekte weit von der realen Magie entfernt sind, wie sie seit der Antike bis in die Neuzeit einem breiten Spektrum von Magiern bekannt war.

Feuerball, Blitz, eisige Berührung sind integrale Bestandteile dieser Abstraktionsebene, Glyphen, die symbolisch auf jene Paradigmen verweisen, die jenseits des Alltäglichen liegen, also im sakralen Raum. Darüber hinaus ist es die sorgfältige Ausbalancierung der Abstraktion, die zu einer glaubwürdigen Illusion von "nicht nur Pixeln" führt.

Wenn also die Autoren der Dialogtexte den Figuren Begriffe aus dem Lexikon der Flammenwerfer in den Mund legen und diese ohne Umschweife erklären, den Feind mit Feuerbällen zu "braten", kann das nur eine gewisse Skepsis hervorrufen, die an die Zerstörung des Glaubens an die Konsistenz der vereinbarten Abstraktionsebene grenzt. Und es ist nicht so, dass der Spieler grundsätzlich was gegen das "Braten" hat - vielmehr möchte er, dass es mit Waffen aus dem militärischen Arsenal geschieht, nicht mit "Magie", oder zumindest, dass diese "Magie" nicht wie eine alte Socke ins Gesicht gehalten wird.

Nicht weniger schädlich für die Abstraktion ist der von "Hardcore-Gamern" so geliebte taktische Kampf, bei dem das Gameplay auf der Annahme der völligen Identität und Ununterscheidbarkeit von Physik ("Nah- und Fernkampfwaffen") und Metaphysik ("Magie") beruht, wobei die Tatsache außer Acht gelassen wird, dass erstere standardmäßig zur Kategorie der gegeninitiatischen und letztere zu den initiatischen Paradigmen gehört.

Wenn man ein Computerspiel entwickelt und sich nicht ausreichend in metaphysischen Disziplinen auskennt, verliert man leicht den Überblick und lässt sich vom Prozess mitreißen, sei es beim Schreiben von Skripten und Dialogen oder bei der Anpassung von Kampf- und Sozialmechaniken, um den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, und der geringste Widerstand ist für einen Profanen bekanntlich, Brei aus dem eigenen Kopf zu löffeln. Je komplexer das Gameplay und je tiefer die Geschichte, je ausgearbeiteter die Dialogzweige und NSC-Charaktere sind, desto problematischer ist es, innerhalb des Abstraktionsrahmens zu bleiben, und umgekehrt - je einfacher das Spiel, desto effektiver ist für den Endbenutzer das Eintauchen und zwar nicht in die Mechanik, sondern in die Illusion selbst.

Deshalb sollten Spiele wie She Will Punish Them* an der Spitze der metaphysischen Rangliste stehen und sich ohne weiteres in die Reihe der Millennium-Hits einreihen können, während die Entwickler von absichtlich komplexen und kontroversen Basteleien wie "Divinity: Original Sin", "Baldurs Gate III" und "Pathfinder: Wrath of the Righteous" eine wahrhaft monströse Anstrengung hätten unternehmen müssen (was sie aber berechtigterweise nicht getan haben), um wenigstens die minimalen Kriterien einer erträglichen Abstraktionsebene zu erfüllen.

*Das Gameplay von She Will Punish Them ist eine Mischung aus Strategie und Lootingshooter mit RPG-Elementen. Dir steht eine Residenz zur Verfügung, die du nach Belieben ausstatten kannst, indem du zusätzliche, zunächst unzugängliche Räume erwirbst. Von diesen Räumen aus macht sich die Dämonin vor dem Spiegel herausgeputzt auf den Weg in die Spielgebiete, um sich mit den dort lebenden Skeletten und Zombies auseinanderzusetzen.

She Will Punish Them: Drei Dämoninnen
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